Innovationsfinanzierung und Weiterentwicklung des EU-Binnenmarktes

Die Ereignisse der letzten Zeit haben wieder einmal gezeigt, wie eng die wirtschaftliche und die politische Entwicklung Europas miteinander verbunden sind. Es ist offenbar, dass die Ablehnung, auf die die Integration in den Referenden über die EU-Verfassung gestoßen ist, zu einem großen Teil wirtschaftliche Ursachen hat. Die schwache Wettbewerbsfähigkeit Europas hat wirtschaftliche Probleme und Unsicherheit verursacht, die sich in der öffentlichen Meinung als ökonomischer Isolationismus und Wunsch niedergeschlagen haben, die Veränderung der Welt anzuhalten. Es ist paradox, dass gerade die EU-Verfassung zu einem der ersten Opfer dieses Meinungsklimas geworden ist, obwohl eines der zentralen Motive der europäischen Integration ausdrücklich die Verbesserung der wirtschaftlichen Konkurrenz- und Leistungsfähigkeit unseres Kontinents gewesen ist.

Diejenigen ökonomischen Phänomene, die in Europa hinter der Welle der Integrationsablehnung stehen, lassen sich leicht aufzeigen. Eines von ihnen ist die unsichere Beschäftigungslage. Arbeitsplätze sind verloren gegangen in einer Situation, wo die Arbeitslosenquote ohnehin schon hoch ist. Hinzu kommt die Unsicherheit über die Lage des öffentlichen Haushaltes und in Verbindung damit die Ungewissheit über die Zukunft der sozialen Sicherheit und der Rentensysteme. In vielen Ländern hat sich die Balance des Staatshaushaltes deutlich verschlechtert, und zwar in einer Situation, wo ansonsten schon der Bedarf bestanden hat, Einkommensübertragungen und Renten zu beschneiden. Die Forderungen nach einem ausbalancierten öffentlichen Haushalt sind häufig als „Forderungen der EU“ dargestellt worden, als ob die öffentlichen Mittel ohne die EU irgendwie weiter gereicht hätten. Zu all dem kommt noch hinzu, dass die wirtschaftlichen Probleme, die mit der Alterung der Bevölkerung zusammenhängen, in Europa immer aktueller geworden sind und dass man sich dieser Probleme immer mehr bewusst geworden ist.

Während die Herausforderungen, mit denen die europäische Wirtschaft konfrontiert wird, wachsen, und ihre Leistungsfähigkeit schwindet, hat sich die öffentliche Meinung schroff gegen eine Veränderung der Welt gekehrt. Es ist, als habe der von Eduard Mörike ausgedrückte Wunsch, der Welt zu entfliehen, in Europa Oberhand gewonnen:

„Laß, o Welt, o laß mich sein!
Locket nicht mit Liebesgaben,
Laßt dies Herz alleine haben,
Seine Wonne, seine Pein!“

Auf der anderen Seite ist es klar, dass gerade das europäische Integrationsprojekt, das nun in den Gegenwind geraten ist, die besten Lösungen für die Probleme verspricht, von denen die Wirtschaft unseres Kontinents geplagt wird. Europa muss eine Antwort auf die Herausforderungen der Alterung, der Globalisierung und der Arbeitslosigkeit finden, indem es seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit verbessert und das Wachstum der Produktivität sowie die Investitionstätigkeit ankurbelt. Einen anderen Weg, die Probleme zu lösen, gibt es nicht. Deswegen sind die Ziele, die hinter der vor fünf Jahren beschlossenen Lissabon-Strategie stehen, heute aktueller als zuvor. Zugleich ist es klar, dass der neue ökonomische Dynamik, den man mit der Strategie angestrebt hat, schwieriger und langsamer zu erreichen ist, als wie man damals angenommen hatte.

Die bisherige Verwirklichung der Lissabon-Strategie ist in dem im letzten November erschienenen Bericht der hochrangigen Sachverständigengruppe unter Vorsitz von Wim Kok beurteilt worden. Die Einschätzung des Berichts klingt nicht sehr positiv: "Nachdem nun die Hälfte der Frist bis zum Jahr 2010 verstrichen ist, bietet sich ein recht gemischtes Gesamtbild. Noch viel muss getan werden, um zu vermeiden, dass Lissabon zu einem Synonym wird für verpasste ziele und nicht eingelöste Versprechen."

Im Kok-Bericht werden fünf Bereiche genannt, in denen Maßnahmen vonnöten sind. Die zwei ersten von ihnen sind "Verwirklichung der Wissensgesellchaft" und "Einhaltung der Verpflichtung auf den Binnenmarkt".Ich möchte heute für meinen Teil diese beiden Punkte zusammen behandeln, denn sie sind sehr eng miteinander verbunden. Zugleich stehen diese Themenbereiche im Brennpunkt der Problematik der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit Europas. Es geht um Innovationstätigkeit, um ihre Umsetzung in Produkte und um ihre Finanzierung, aber ich möchte betonen, dass diese für die wirtschaftliche Zukunft unseres Kontinents zentralen Fragen gerade von dem Projekt des Gemeinsamen Marktes abhängen und davon, dass wir dieses Projekt zu einem Ende führen. Ich möchte auch einige Worte zu dem Fall Finnland sagen, da Finnland in der Innovationstätigkeit und auch im Wachstum der Produktivität der Industrie eines der Spitzenländer Europas ist.

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Die Frage nach der Belebung der wirtschaftlichen Wachstumsdynamik Europas wird häufig aus dem Blickwinkel der Produktivität betrachtet. Das Wachstum der Produktivität der Arbeit ist in Europa ständig zurückgegangen, von Jahr zu Jahr und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Zur selben Zeit hat sich das Wachstum der Produktivität in den Vereinigten Staaten schon seit langem verbessert. Das sind Tatsachen, aber die Unterschiede im Wachstum der Produktivität sollte man nicht nur quantitativ betrachten, da das Problem, das hinter ihnen steht, in erster Linie ein qualitatives ist.

Das qualitative Problem ist keine Folge davon, dass in Europa die Arbeit nicht effektiv genug wäre, sondern davon, dass Europa keine ausreichend entwickelten und einzigartigen Produkte und Dienstleistungen hervorbringt. Die europäische Wirtschaft hat ihre Schwergewichte zu sehr auf Bereichen, in denen das Wachstum der Produktivität langsam ist, und zudem ist der Strukturwandel der europäischen Wirtschaft von den Bereichen mit niedriger Produktivität hin zu den Bereichen, die eine hohe Technologie erzeugen und nutzen, zu langsam gewesen. Die Verletzlichkeit der europäischen Wettbewerbsfähigkeit in dem Umfeld des sich verschärfenden globalen Konkurrenzkampfes rührt deswegen auch zu einem großen Teil daher, dass in Europa der Übergang vom industriellen Produktionsmodell zur postindustriellen Produktion zu langsam gewesen ist.

Es ist viel über die technologische Kluft diskutiert worden, die zwischen Europa und den Vereinigten Staaten besteht. Aber auch diese Kluft muss man korrekt lokalisieren. Auf dem Niveau der Grundausbildung ist die Wettbewerbsfähigkeit Europas gut. An den europäischen Universitäten absolvieren mehr Studenten einen Abschluss in den Ingenieurs- und Naturwissenschaften als an den amerikanischen Universitäten. Die Herausforderungen für Europa liegen in der Entwicklung und Nutzung des Spitzenkönnens. Auf dem Niveau der Spitzenforschung und der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit liegt Europa nämlich weit hinter den USA zurück.

Studien zeigen, dass die F&E-Tätigkeit und die Innovationen für das Wachstum der Produktivität von zentraler Bedeutung sind. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt sind die Ausgaben der USA für Forschung und Entwicklung anderthalb mal so groß wie die des EU-Raums. Außerdem leisten die amerikanischen Unternehmen einen deutlich höheren Beitrag für Investitionen in F&E als europäische Unternehmen. Finnland ist eines der wenigen EU-Länder, in denen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung die Zielvorgabe von drei Prozent übertreffen. Zugleich ist Finnland eines von den zwei Ländern, in denen die F&E-Ausgaben der Unternehmen mehr als zwei Prozent vom Wert des Bruttoinlandsprodukts ausmachen.

Ein ähnliches Bild über die Unterschiede in der Produktentwicklungstätigkeit in der EU und in den Vereinigten Staaten erhält man, wenn man die Zahl der angemeldeten Patente betrachtet. Die Amerikaner lassen in ihrem Land doppelt so viel Erfindungen patentieren wie die Europäer in ihrem eigenen EPO-System (European Patent Office). In Europa werden fast ebenso viele Patente von amerikanischen wie von europäischen Unternehmen angemeldet, aber in den Vereinigten Staaten liegt der Anteil der europäischen Erfindungen, die dort patentiert werden, bei weniger als einem Viertel von der Zahl der amerikanischen Erfindungen.

Verfolgt man die Wertschöpfungskette der Innovationstätigkeit von der Forschung zu den Patenten und von den Patenten zur Umsetzung der Ideen in Produkte, so wird man mit der Frage nach der Finanzierung neuer Unternehmen (Start-ups) konfrontiert. Auch in diesem Bereich ist die Situation in Europa besorgniserregend. Ein Symptom für die Schwäche der europäischen Innovationskette ist die Kleinheit der Venture Capital-Märkte im Vergleich zu den Vereinigten Staaten. Diese Differenz hat sich um ein gewisses Maß ausgeglichen, nachdem im Jahre 2001 die globale IT-Blase geplatzt war. Aber noch immer ist der Unterschied erheblich. Besonders deutlich kommt er zum Vorschein, wenn man die private Venture Capital-Finanzierung betrachtet. Einer neueren Untersuchung zufolge (Ernst & Young LLP und VentureOne 2005) haben im Jahre 2004 die kumulativen Investitionen der europäischen Venture Capital-Unternehmen nur einem Viertel von dem Wert der Venture Capital-Investitionen in den USA entsprochen.

In Wirklichkeit ist die Differenz zwischen der EU und den Vereinigten Staaten nicht ganz so dramatisch, denn neben privaten Kapitalinvestoren sind an dieser Tätigkeit auch öffentliche Fonds mit beteiligt, deren Bedeutung in Europa größer ist als in den USA. Auf der andere Seite haben Studien belegt, dass die Aktivität von unabhängigen Kapitalinvestoren im Allgemeinen erfolgreicher ist als die Tätigkeit von Kapitalfonds, die in Verbindung mit Banken agieren oder im Besitz der öffentlichen Hand sind.

Die Unterschiede zwischen den Finanzmärkten Europas und der USA bei der Finanzierung neuer Unternehmenstätigkeit ist unter anderem in dem gemeinsamen Forschungsnetzwerk "Capital Markets and Financial Integration in Europe" der Zentralbanken des Eurosystems untersucht worden. In dem im letzten Dezember veröffentlichten Schlussbericht wird festgestellt, dass das Finanzierungssystem für Start-ups in Europa schwach entwickelt und schlecht integriert sei, und dies gilt sowohl für die Tätigkeit der Venture Capital-Investoren als auch für die IPO-Märkte für junge Unternehmen.

Die Charakteristika der europäischen Innovationskette, die ich oben erwähnt habe, erklären wahrscheinlich zu einem großen Teil, warum das Wachstum der Produktivität und der Strukturwandel der Wirtschaft in Europa enttäuschend gewesen sind. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Innovationstätigkeit in Europa, gemessen an den Investitionen in Forschung und Entwicklung, relativ kleiner ist als in den Vereinigten Staaten, dass aber dazu auch die Aktivität bei der Anmeldung von Patenten und das Wachstum der Produktivität der Wirtschaft bescheidener ausgefallen sind. Das weist darauf hin, dass eine Steigerung der Investitionen in Forschung und Entwicklung allein nicht ausreicht, um dieses Problem zu lösen, sondern dass die Angelegenheit in einem größeren Zusammenhang zu sehen ist.

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Mein eigenes Land stellt im Licht der Statistiken eine gewisse Ausnahme von dem allgemeinen Bild in Europa dar. In Finnland ist das Wachstum der Produktivität schneller gewesen als im europäischen Durchschnitt; das Volumen der F&E-Aufwendungen erfüllt die Kriterien der Lissabon-Strategie, und auch die Zahl der Patente in Relation zu der Bevölkerungszahl ist ziemlich hoch, etwa doppelt so groß wie im EU-Raum durchschnittlich.

Der Erfolg Finnlands bei der Steigerung der Produktivität und bei der Innovationstätigkeit mag vorbildlich aussehen, und es gibt darin sicherlich auch manche Züge, die für andere Länder interessant sein dürften. Sehr bezeichnend für die finnische Forschungs- und Technologiepolitik ist die langfristige Entwicklung von Wissen und Können. Diesbezüglich ist man allmählich von der Analyse von Einzelfällen zu einer umfassenderen Perspektive gelangt, bei der die Erzeuger von Wissen und Können und deren Nutzer zusammen betrachtet werden. Man spricht von einem Innovationssystem. Bei der Entwicklung dieses Komplexes, der als nationales Innovationssystem bekannt ist, hat Finnland Pionierarbeit geleistet. Im finnischen Innovationssystem werden die Universitäten außer zu Grundlagenforschung auch zu angewandter Forschung von Spitzenniveau angespornt. Besonders gefördert werden Beziehungen zwischen Unternehmen und Universitäten, und man hat bemerkt, dass diese Kontakte für die fortwährende Erneuerung beider Seiten nützlich sind.

Obwohl das finnische Innovationssystem gute Ergebnisse gebracht hat, leidet Finnland dennoch unter denselben Problemen wie die übrigen EU-Länder. Der Erfolg Finnlands im Bereich der ICT-Technologie hat sich auf einen recht schmalen Sektor konzentriert, auf die mobile Kommunikation und darin vor allem auf die Produktion von Kommunikationstechnologie. Bei der Anwendung der neuen Technik in verschiedenen Teilgebieten des Geschäftslebens hat man nicht ebenso gute Fortschritte gemacht wie bei der Produktion der Technik. Eine Ausnahme hiervon bildet der Bankensektor, bei dem das Wachstum der Produktivität in Finnland von internationaler Spitzenklasse gewesen ist. In anderen Beziehungen ähnelt die Situation Finnlands der des übrigen Europas: Die Nutzung neuer Technologie zur Verbesserung der Produktivität ist im gesamten Wirtschaftsleben nicht schnell genug vorangeschritten. Die Probleme liegen also mehr in der Anwendung als in der Erzeugung der Technik. Besonders zu verbessern ist – in Finnland wie in ganz Europa – die Produktivität der Dienstleistungssektoren.

Wenn das finnische Beispiel für Europa etwas Lehrreiches zu bieten hat, so besteht dies meines Erachtens darin, dass das Innovationssystem als eine Ganzheit zu betrachten ist – von der Ausbildung zur Grundlagenforschung, von der Grundlagenforschung zur angewandten Forschung, von der Forschung zur Hervorbringung von Innovationen in Kooperation von Forschungsanstalten und Unternehmen – vor allem solchen Unternehmen, die sich mutig auf die kommerzielle Nutzung der Innovationen fokussieren. Auf einen derartigen integrierten Ansatz hat auch die High Level Group von Wim Kok hingewiesen, als sie in ihrem Bericht feststellte: "Es gibt kein Zauberstab, mit dem sich das stärkere Wachstum und die Arbeitsplätze herbeischaffen lassen, die Europa so dringend braucht."

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Der Umstand, dass die Produktivität der F&E-Investitionen in Europa schwächer ist als in den Vereinigten Staaten, deutet meiner Ansicht nach darauf hin, dass eine direkte Erhöhung der Investitionen zum Beispiel aus öffentlichen Mitteln nicht ausreicht, das vorhandene Problem zu lösen. Die Ankurbelung des auf Innovationen gegründeten Wachstums erfordert offenbar Veränderungen im Umfeld der Innovationstätigkeit. Ich möchte das Augenmerk auf einige Sachen lenken.

Für das Volumen und die Effizienz der Produktentwicklungstätigkeit sind die Ansporne wichtig, die sich auf die F&E-Tätigkeit auswirken. Ich möchte drei miteinander verbundene Bedingungen für eine effektive Innovationstätigkeit anführen:

• Die Innovationen müssen ein umfangreiches und offenes Marktgebiet haben, damit ihr kommerzieller Wert groß ist.

• Man muss die Innovationen zu einem angemessenen Preis schützen können, und zwar in einer Weise, dass die mit ihrem Schutz verbundene juristische Unsicherheit minimiert wird.

• Für die Innovationen muss in flexibler Weise Finanzierung zur Verfügung stehen, damit ihr kommerzielles Potenzial realisiert werden kann.

Von Interesse ist, dass alle diese drei Bedingungen einer erfolgreichen Innovationstätigkeit mit der Verwirklichung und Vervollkommnung des europäischen gemeinsamen Marktes verbunden sind. Meines Erachtens liegt ein wahrscheinlicher Grund dafür, dass die europäische Innovationstätigkeit nicht ganz die auf sie gesetzten Erwartungen erfüllt hat, darin, dass die europäischen Märkte hinsichtlich der Innovationstätigkeit nicht genügend einheitlich sind. Die Zersplittertheit der Märkte verringert den kommerziellen Wert der Innovationen; die Uneinheitlichkeit des Patentsystems macht den Schutz von Innovationen im EU-Raum teuer und unsicher; und der Venture Capital-Sektor ist zu schwach und zu sehr lokal organisiert.

Die Unfähigkeit der EU, in dem Streit über das Gemeinschaftspatent, der bereits seit mehreren Jahren andauert, zu einer Vereinbarung zu kommen, ist besonders besorgniserregend. In dem derzeitigen System ist die Anmeldung eines europäischen Patents sehr teuer, vor allem wegen der verlangten mehrsprachigen Übersetzungen, und zudem wird in den Streitigkeiten über Patente in jedem Mitgliedstaat für sich Recht gesprochen. Die Folge hiervon ist rechtliche Unsicherheit. Ein Gemeinschaftspatent könnte diese Probleme lösen. Wie Sie sicherlich wissen, ist das Unterfangen jedoch an einem Konflikt über die Sprachen gescheitert. Völlig unabhängig von den politischen Dimensionen der Sache ist es klar, dass bezüglich der Innovationswirtschaft die Reduzierung der Patentkosten eine für die Wettbewerbsfähigkeit Europas zentrale Frage darstellt.

Die Finanzierung der Investitionen ist eine zweite zentrale Frage. Europa braucht eindeutig mehr Finanzierung von Investitionen. Zugleich ist es klar, dass man in der Lage sein sollte, private und unabhängige Quellen von Risikofinanzierung verstärkt zu nutzen. Europa benötigt natürlich auch in Zukunft öffentliche Innovationsfinanzierung. Aber die damit verbundenen Effizienz- und Konkurrenzprobleme sind offensichtlich, und darum ist es unabdingbar, private europäische Venture Capital-Märkte zu entwickeln, und zwar in der Weise, dass die Finanzmärkte besser als bisher sich an der Finanzierung von lohnenden Innovationen beteiligen können.

Besonders wichtig wäre es, von der lokalen Begrenztheit der Venture Capital-Märkte loszukommen. Die Expertise, die für das Investieren von Risikokapital nötig ist, ist von ihrem Charakter her nicht lokal, sondern höchstwahrscheinlich ist sie mit der Branche des zu finanzierenden Projekts oder der Kenntnis der anzuwendenden Technik verbunden. Von daher erscheint es logisch, ein effektives europäisches Venture Capital-System lieber auf der Basis von Branchen als auf regionaler Basis aufzubauen.

Es wäre ferner wichtig, die europäischen Aktienmärkte so zu entwickeln, dass IPO-Arrangements (initial public offering) zu geringeren Kosten als bisher erfolgen könnten und dass neue Untenehmen die Möglichkeit hätten, Kapital in größerem Umfang von den europäischen Kapitalmärkten zu erhalten. Dies ist unter anderem für die Sicherung dessen nötig, dass die Investoren von Risikokapital ihre Investitionen leichter verkaufen können, wenn die von ihnen finanzierten neuen Unternehmen dazu reif geworden sind, Kapital von den Börsen zu erhalten. Die Effizienzsteigerung der europäischen Wertpapiermärkte und vor allem die Reduzierung der Kosten für den grenzüberschreitenden Handel bilden daher auch einen wesentlichen Bestandteil der Entwicklung der Finanzmärkte in eine innovations- und investitionsfreundlichere Richtung.

Letztendlich hängen die Investitionen der Unternehmen in die Innovationstätigkeit und das Volumen des Risikokapitals, das für die Kommerzialisierung der Innovationen erhältlich ist, davon ab, wie groß das kommerzielle Potenzial ist, das man neuen Innovationen bieten kann. Von diesem Standpunkt aus ist es klar, dass die Vereinigung des europäischen Binnenmarktes und der Abbau von Hindernissen für die Markteinführung die allerwichtigsten Faktoren für die Förderung von Innovationen und auf diesem Wege für die Ankurbelung des Wachstums neuer unternehmerischer Tätigkeit sind. Je zersplitterter die Märkte sind, umso kleiner gestaltet sich das kommerzielle Potenzial der Innovationen. Dieselbe Auswirkung hat es, wenn an den Märkten Hindernisse für eine Markteinführung bestehen, die von Behörden oder von in dominierender Marktposition befindlichen Unternehmen errichtet worden sind. Aus diesen Gründen spielen die Wettbewerbspolitik und der gemeinsame Markt eine entscheidende Rolle bei der Lösung der wirtschaftlichen Probleme Europas. Die Dienstleistungsrichtlinie ist ein Teil davon, aber es gibt noch viel mehr zu tun.

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Verehrte Damen und Herren,

zurzeit droht Europa in einen Teufelskreis zu geraten, wo wirtschaftliche Enttäuschungen zu einem Abbremsen des europäischen Integrationsprojektes führen, was wiederum die ökonomische Situation Europas weiter schwächen würde. Man muss nun versuchen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und die Entwicklung in eine andere Richtung zu lenken, so dass man mittels der Integrationslösungen für die Wirtschaft eine neue Dynamik erhält, was für seinen Teil dazu beitragen würde, der europäischen Integration auch eine breite politische Unterstützung zu gewährleisten.

In der Praxis ist die Lösung in der Richtung zu finden, die von der Lissabon-Strategie aufgezeigt worden ist, und zentral darin ist die Entwicklung der Märke in der Richtung, dass sie besser als bisher zu Innovationen und zu neuen, auf Innovationen basierenden Investitionen anspornen. Es geht vor allem um den Schutz der Innovationen, um deren Finanzierung und um immer offenere und einheitlichere Märkte.

Die wirtschaftliche Erneuerung und Effizienzsteigerung zu akzeptieren bedeutet nicht, dass man auf die europäische Lebensform verzichten würde, sondern dies würde im Gegenteil die beste Möglichkeit bieten, diese Lebensform zu erhalten, auch angesichts der Alterung der Bevölkerung und des globalen Wettbewerbs. Das intellektuelle und kulturelle Kapital Europas schafft ausgezeichnete Voraussetzungen dafür, an der globalen Wirtschaft als ein konstruktiver und nicht als ein defensiver Partner teilzunehmen. Es wäre ein großer Schaden, wenn die Unfähigkeit unseres Kontinents, gemeinsame Beschlüsse zu fassen, hier ein Hindernis bilden würde.